Ein neu erschienener Sammelband legt wichtige Grundsteine für eine Auseinandersetzung
Klimasoziale Politik ist ein Sammelband herausgegeben von der Armutskonferenz, Attac und dem Beigewum. In diesem wirklich lesenswerten Gesamtwerk stellen über 30 Autor:innen vor, wie klimasoziale Politik eine grundlegende Verbesserung unseres Lebens schaffen kann. Das Buch hat einen klaren Fokus auf die österreichische Situation und Entwicklung. Dabei gelingt es den Beiträgen, dass sie sich nicht in Fachsprache verirren, sondern verständlich und zugänglich bleiben. Wir sprechen mit Clara Moder von der Armutskonferenz und Hendrik Theine vom Beigewum, zwei Herausgeber:innen des Redaktionsteams.
MALMOE: Das Buch trifft ohne Zweifel einen Nerv. Wie nehmt ihr die Diskussion um das Thema wahr?
Hendrik Theine: Das Thema Klimakrise ist endlich im Mainstream angekommen und das geht auch nicht mehr weg. Es rückt vielleicht durch Corona leicht in den Hintergrund. Aber ich glaube, dass die gesamte Thematik rein von der Dramatik her im Vergleich zu vor 5 oder 10 Jahren in der Öffentlichkeit angekommen ist.
Unser Startpunkt war die Beobachtung, dass die Klimakrise noch zu oft als ein rein technisches Problem verstanden wird. Dementgegen argumentieren wir im Buch, dass die Klimakrise und ihre Auswirkungen tief in die Konstruktion von Gesellschaft und Wirtschaft hineinreichen. Und ebenjene Konstruktion von Gesellschaft und Wirtschaft sich verändern muss, wenn wir die Klimakrise ernst nehmen und diese abwenden wollen. Das bedeutet auch, dass soziale, wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Themen immer gemeinsam mit ihren Auswirkungen auf die Klimakrise gedacht werden müssen.
Während der Arbeit an diesem Buch ist mir nochmal klarer geworden, dass Wirtschafts- und Sozialpolitik ohne Betrachtung der Klimakrise einfach sinnlos und nicht mehr zeitgemäß ist. So macht es keinen Sinn mehr, über Politikmaßnahmen zu reden, die aus der Corona-Krise herausführen sollen, ohne die Auswirkungen auf Klima und Emissionen mitzudenken und was das für eine Transformation der Gesellschaft bedeutet.
Clara Moder: Ich würde sagen, dass es noch immer nicht genug Bewusstsein dafür gibt, wie tiefgreifend die Veränderungen sein müssen. Als Greta Thunberg das erste Mal vor mehr als drei Jahren auf der Straße gesessen ist, hat das viel getan für den Diskurs. Seitdem ist die Dringlichkeit und Lebensbedrohlichkeit der Klimakrise stärker in den Vordergrund gerückt. Gleichzeitig ist meine Beobachtung, dass die soziale Krise, die es ja auch gibt und die durch die Corona-Krise weiter verstärkt wird, immer noch eher unabhängig von der Klimakrise gesehen wird. Dies wird insbesondere im Sozialbereich nach wie vor wenig zusammengedacht. Und im medialen Diskurs wird das häufig auch noch gegeneinander ausgespielt. So heißt es dann zum Beispiel: eine CO2-Steuer kann man nicht machen, weil das die geringsten Einkommen überproportional trifft. Und das ist natürlich insgesamt nicht völlig unrichtig. Gleichzeitig muss man aber schon sagen, dass das von der genauen Ausgestaltung von so einer Reform abhängt.
Innerhalb der Organisationen der Armutskonferenz und im Austausch mit Armutsbetroffenen wurde auch im Rahmen dieses Buchprojekts deutlich, dass es eine Angst vor emissionsreduzierenden Klimamaßnahmen gibt, die aber das Soziale nicht mitdenken. So gibt es natürlich große Vorbehalte, was das für Armutsbetroffene bedeutet, also besonders für Geringverdiener:innen, Alleinerziehende, für Menschen am Land, wo es keinen Nahverkehr gibt. Genauso wie für Menschen, die in einem alten, unsanierten Haus mit Ölheizung leben und sich die Modernisierung der Heizung nicht leisten können. Da gibt es existenzielle Bedenken, die auch aus den Erfahrungen von der Krise 2008/09 kommen, wo die Probleme von unteren Einkommensschichten und sozial Schwachgemachten ignoriert wurden.
Aufbauend darauf ist unser Anspruch, mit dem Buch ein positives Bild zu entwickeln: Was Klimapolitik beitragen kann, um progressive Sozialpolitik zu machen, und was Sozialpolitik beitragen kann, um emissionsreduzierendes Verhalten zu ermöglichen. Das was gut für das Klima ist, soll leistbar und bequem werden, und alles Schlechte eingedämmt werden. Dies aber nicht auf Kosten von denen, die jetzt schon sehr wenig teilhaben können.
Mit dem Buch wollen wir zeigen, dass es in den meisten Politikfeldern möglich ist, progressive Sozialpolitik mit progressiver Klimapolitik zusammenzudenken. Natürlich gibt es Bereiche, welche besonders herausfordernd sind, wie z. B. in der Landwirtschaft. Eine industrielle Landwirtschaft kann einfach zu viel geringeren Stückkosten produzieren. Aber gerade an solchen Punkten wird sichtbar, dass es tiefgreifende Transformationen braucht.
Das Buch beginnt mit Aktivismus. Wo seht ihr ausgehend von eurer Diagnose in dem Buch die Rolle des Aktivismus für klimasoziale Politik?
CM: Die Rolle des Aktivismus wird in den Kapiteln sehr unterschiedlich behandelt. Die einzelnen Kapitel zeigen klare Forderungen an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf. Sie zeigen deutlich, dass wir in vielen Bereichen noch lange nicht am Ziel sind. Deshalb ist es unter anderem die Rolle von Aktivist:innen, dranzubleiben und Druck zu machen sowie gleichzeitig Alternativen aufzuzeigen und vorzuleben. Eine Möglichkeit ist zu zeigen, wie man auch in kleinteiliger Organisation Positives erreichen kann. Im Ernährungsbereich gibt es da schon sehr viele Möglichkeiten, jetzt etwas zu machen.
Der Wunsch, den ich an die Klimaaktivist:innen formulieren würde, ist, dass sie sich verstärkter mit den sozialen Dimensionen befassen.
HT: Im Vergleich zur radikalen Transformationsliteratur, bei der der Aktivismus der Kern jeder Veränderung sein muss, haben wir in unserem Buch schon eine etwas andere Leser:innenschaft im Sinn. Wir benennen klar die Rolle des Aktivismus und seine bisherigen Erfolge, aber wir haben auch einen Policy-Fokus, der aufzeigt, was in der jetzigen Staatlichkeit und Gesellschaft alles schon heute getan werden kann. Wir sind also etwas pragmatischer und sagen, dass man nicht erst auf die große gesellschaftliche Transformation warten muss, bevor etwas im klima- und sozialpolitischen Bereich getan werden kann. Gleichzeitig sehen wir natürlich die Grenzen des aktuellen Systems. Ich glaube nicht, dass man das gegeneinander ausspielen muss, sondern es braucht beides: pragmatische Veränderungen im Hier und Jetzt sowie große gesellschaftliche Transformation.
Wie kam es zu dem Buch und was war euch bei dem Prozess besonders wichtig?
CM: Wir von der AG Sozialpolitik der Armutskonferenz haben uns im Sommer 2019 entschieden, das Thema Klimakrise in den Mittelpunkt zu rücken. Das war für uns vielleicht erstmal etwas off-topic und neu, aber wir wollten die Schnittmengen von Klimapolitik und Klimakrise mit Sozialpolitik und Armut besser beleuchten und verstehen. Und aus der Vernetzung zu diesem Thema kam dann so langsam diese Buchidee.
HT: Eine der Kernkompetenzen des Beigewum ist schon die Umweltpolitik, aber der Schwerpunkt lag dann in den letzten Jahren doch eher bei Wirtschaft- und Sozialpolitik. Ausgangspunkt für das Buch war, die Klimapolitik wieder mehr ins Zentrum zu rücken und zu betonen, dass es große Schnittmengen mit progressiver Sozial- und Wirtschaftspolitik gibt.
CM: Wir waren auch sehr unterschiedliche Personen in dem Redaktionsteam, mit verschiedenen Verständnissen und Voraussetzungen, sodass wir erst lernen mussten, uns gegenseitig zu verstehen.
HT: Verständlichkeit ist immer so leicht dahergesagt, aber im konkreten Fall muss man schon sehr genau schauen, was das eigentlich bedeutet. So gab es viele Debatten, das waren auch mitunter die spannendsten, wo wir mit bestimmten Aussagen hinwollen.
Wie kam es zu den Zitaten von Armutsbetroffenen, die zwischen den Kapiteln zu finden sind?
CM: Es gibt innerhalb der Armutskonferenz die Plattform „Sichtbar Werden“. Mit den Aktivist:innen haben wir eine Fokusgruppe zu ihrer Betroffenheit durch die Klimakrise gemacht. Und in dieser Diskussion ging es dann viel um Extremwetterphänomene wie Hitzewellen oder um Lebensverhältnisse, wo Menschen beengt und in schlecht isolierten Wohnungen wohnen oder auch auf die berühmte Ölheizung im Keller angewiesen sind. Neben dieser Betroffenheit ging es aber auch um die Wünsche an eine progressive Klimapolitik, die auch für sie funktioniert.
Und ich glaube, dass das Buch – auch durch das Einbringen der Aktivist:innen von „Sichtbar Werden“ netzwerkintern – in der Armutskonferenz noch viel auslöst.
Wie geht es weiter?
HT: Ich darf auf jeden Fall sagen, dass das Buch ausverkauft ist und dass eine zweite Auflage herauskommt!
CM: Uns ist es wichtig, die Diskussion am Laufen zu halten, auch mit weiteren Veranstaltungen und Vorstellungen des Buches in nächster Zeit!
Beigewum, Armutskonferenz, Attac (Hrsg.) (2021): Klimasoziale Politik – Eine gerechte und emissionsfreie Gesellschaft gestalten. bahoe books, Wien